Zur
Kommunalwahl in fünf Wochen treten zehn Parteien an. Die Frage, was die
soziale Großstadt ausmacht, könnte entscheidend werden
Von Christoph Keinau
Die Stadt Neuss hat einen Ruf zu verteidigen: den der
sozialen Großstadt. Glaubt man der SPD, dann ist dieser Anspruch
deutlich ramponiert. Sie will das Modell der sozialen Großstadt zum
Beispiel mit einem "Bündnis für bezahlbaren Wohnraum" grundlegend neu
definieren, es "vom Kopf wieder auf die Füße stellen", wie es der
Spitzenkandidat Reiner Breuer ausdrückt, es zum "übergreifenden Leitbild
für Neuss machen", wie Parteiboss Benno Jakubassa ergänzt.
Und prompt handelt sich die Opposition den Vorwurf
ein, Etikettenschwindel zu begehen. "Das Urheberrecht liegt bei der
CDU", stellt deren Spitzenkandidat Jörg Geerlings klar. Seine Partei sei
stolz darauf, "soziale Anforderungen und wirtschaftliche
Notwendigkeiten stets in einem ausgewogenen Verhältnis berücksichtigt zu
haben."
Wichtigste Frontlinie im Wahlkampf: SPD gegen CDU
Fünf Wochen vor der Kommunalwahl ist mit diesen
Positionen die wichtigste Frontlinie im Kommunalwahlkampf definiert. Sie
zeigt aber auch eine Sonderstellung der Stadt Neuss auf. Wo sich Städte
wie Grevenbroich - die Zahlungsunfähigkeit vor Augen - damit quälen,
überhaupt Gestaltungsräume zu eröffnen, kann die Neusser Politik auf der
Basis konsolidierter Finanzen agieren. Ja, für den Tag vor der Wahl
kündigt Bürgermeister Herbert Napp (CDU) sogar die Ablösung aller
Kassenkredite und damit die Schuldenfreiheit der Stadt an.
Zehn Parteien bewerben sich am 25. Mai um die Stimmen
der Wähler. Die CDU, seit Gründung der Bundesrepublik die tonangebende
politische Kraft in Neuss, streitet selbstbewusst mit einer
Leistungsbilanz der vergangenen fünf Jahre für eine eigene Mehrheit. Die
SPD glaubt sich einem Machtwechsel so nah wie noch nie und sieht,
nachdem ihr Spitzenkandidat vor zwei Jahren das Landtagsmandat erringen
konnte, eine Mehrheit jenseits der CDU. Die Grünen, die unter dem Motto
"Grünes Neuss 2020" unter anderem die Einschränkung des
Flächenverbrauchs fordern, halten sich mit Koalitionsaussagen zurück,
während die FDP mit der Union die größten Schnittmengen sieht.
FDP hängt die Latte für Koalitionsverhandlungen hoch
Mit ihrem Programm, das auf Wachstum setzt, mit dem
Innenstadtfonds, den sie auch zur Entwicklung der Hammer Landstraße
verwenden wollen und der erneuten Forderung, die Straßenbahn aus der
City zu entfernen, hängen die Liberalen die Latte für
Koalitionsverhandlungen mit SPD oder Grünen vielleicht auch zu hoch. Die
Frage, ob sich im nächsten Rat eine stabile Mehrheit findet, ist
angesichts dieser Ausgangslage und neuer Bewerber wie Piraten-Partei,
"Alternative für Deutschland" oder "Bündnis für Innovation und
Gerechtigkeit" die zweite Schmetterfrage. Klappt das nicht, so fürchtet
Bürgermeister Napp, könnte der kleinste gemeinsame Nenner der Politik
die Vertagung sein.
Klar scheint, dass die Verkehrspolitik vor allem im
Neusser Süden großen Stellenwert bekommen wird, unklar ist dagegen,
inwieweit sich Schulfragen noch als Wahlkampfthemen eignen. Eigentlich
schien dieses Feld befriedet, doch mit ihrem Wahlprogramm kündigt die
SPD den Schulfrieden auf. Sie strebt ein Zwei-Säulen-Modell mit
Gymnasien und Gesamtschulen an und will die von CDU und FDP gewollte
Sekundarschule(n) am liebsten wieder ungeschehen machen.