Mit
Professor Dr. Christian Pfeiffer hat sich die Schule, an der der
Tatverdächtige im Fall Daniel Dicke bis zu seiner Haft als Lehrer
beschäftigt war, prominente Hilfe geholt, um Missbrauch von Schülern
durch Lehrer besser vorzubeugen.
Von Stephanie Wickerath
Ein 28 Jahre alter Sportlehrer aus Korschenbroich, der
seit 2009 an einer Schule in Willich tätig war, sitzt seit Mitte Januar
in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, im Dezember seinen Cousin
an der K 37 in Büttgen erschlagen zu haben. Bei den Ermittlungen hat die
Polizei auch den Computer des Verdächtigen untersucht. Dort fand sie
Fotos von leicht bekleideten und nackten minderjährigen Mädchen. Auch
ein Video aus einer Mädchenumkleidekabine tauchte auf. Das Material
konnte Schülerinnen der Willicher Schule zugeordnet werden.
Wie sich herausstellte, hatte es dort seit 2011 vier
bekannte verdächtige Vorfälle gegeben, die mit dem Sportlehrer in
Verbindung stehen. "Der Fehler war, diese vier Geschichten nicht an
einer Stelle zu bündeln", sagt Professor Christian Pfeiffer, Direktor
des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Um Missbrauch
und versuchten Missbrauch früher zu erkennen und künftig besser zu
agieren, hat der Schulträger, die Malteser, den Fachmann mit ins Boot
geholt. Bei einem Informationsabend präsentierte Pfeiffer jetzt ein
erstes Konzept. Ein wesentlicher Punkt: eine andere
Kommunikationskultur, speziell geschulte Lehrer, effektivere Aufklärung
für Schüler und Eltern. Pfeiffer ist sicher: Wäre der Schulleitung
bereits der erste Fall, nämlich das Gerücht, der Lehrer habe ein
Verhältnis mit einer Schülerin, bekannt gewesen, wäre diese hellhörig
geworden, als ein halbes Jahr später Eltern mit einem verdächtigen
Eintrag auf der Facebook-Seite ihrer Tochter zur Schulleitung kamen. Das
Mädchen hatte eine anonyme Einladung zu einer "Trainingseinheit"
erhalten und ordnete diese ihrem Sportlehrer zu. Die Schulleitung
schaltete die Polizei ein. Die überprüfte den Facebook-Account, der
gelöscht war. Die Sache verlief im Sande.
Ebenso Fall drei und vier, die ähnlich gelagert waren.
"Es wäre sinnvoll gewesen, wenn die Schülerin auf die Einladung
eingegangen wäre und so in Polizeibegleitung den Täter überführt hätte",
sagt Professor Pfeiffer. "Aber leider war die Polizei zu duselig, um
auf die Idee zu kommen." Dabei sei es wichtig, die Täter aus der
Anonymität des Netzes herauszuholen und zu enttarnen. "Das ist der beste
Beitrag zur Prävention: Das Risiko, enttarnt zu werden, muss zu groß
sein."
Für die Schule, die Pfeiffer zwei Tage lang besucht
hat, findet der Professor lobende Worte: "Ich habe engagierte Lehrer
kennengelernt und sehr gute Strukturen vorgefunden." Auch die
Bereitschaft, jemanden von außen zur Hilfe zu holen und das Thema
Missbrauch durch Lehrer so offensiv anzugehen, sei selten in deutschen
Schulen. "Es sind Fehler gemacht worden, aber daraus will die Schule
lernen." So soll eine Präventionsbeauftragte eingestellt werden, die
Vertrauenslehrer speziell für die Themen Missbrauch, Sexting (die
Aufforderung, erotische Fotos zu verschicken) und Cybermobbing
ausbildet. "Es muss allen Schülern, Eltern und Lehrern klar sein, dass
das dann die Ansprechpartner für diese Themen sind", sagt Pfeiffer. Auch
ein Kummerkasten für Schüler, sowie eine Mailadresse für Eltern sollen
eingerichtet werden.
Außerdem wird es nach den Sommerferien eine vom
kriminologischen Forschungsinstitut ausgearbeitete Umfrage an der
Willicher Schule und auf Wunsch auch an den anderen weiterführenden
Schulen der Stadt geben – zu Themen wie Lebenszufriedenheit, Elternhaus,
Lehrer, Mobbing und Missbrauch. "In zwölf Monaten, wenn die Umfrage
ausgewertet ist, komme ich wieder, damit wir gemeinsam sehen, was wir
noch verbessern können", verspricht Pfeiffer zum Abschied.