Selbstständig
in der Geburtshilfe zu arbeiten, ist für Neusser Hebammen nicht mehr
attraktiv. Schon lange steigen die Versicherungsbeiträge, das drückt den
Verdienst. Eine Alternative ist der Schichtdienst im Krankenhaus.
Von Hanna Koch
Annette Reimers hat die Reißleine gezogen: Die
38-jährige Hebamme hat sich von der Geburtshilfe verabschiedet. Schon
länger stehen für sie Einsatz und Verdienst in keinem akzeptablen
Verhältnis mehr zueinander. "Hebamme zu sein ist mein Traumberuf", sagt
die Neusserin. "Aber er lohnt sich nicht mehr".
So geht es auch vielen Kolleginnen. Rund 20 Hebammen
sind dem Kreisgesundheitsamt zufolge in Neuss zugelassen, kreisweit sind
es etwa 70. Doch wer sich durchtelefoniert, hat oft nur den
Anrufbeantworter dran – mit dem Hinweis, dass keine Schwangeren mehr
aufgenommen werden, und wenn doch, dann nur für die Vor- und Nachsorge,
aber nicht für die eigentliche Geburt. Hauptgrund dafür sind die hohen
Beiträge für die Haftpflichtversicherung (siehe Info-Box). Sie sind um
ein Vielfaches höher, wenn direkt bei der Geburt geholfen wird. Für die
Vor- und Nachsorge gibt es Extra-Tarife. Aber auch diese sind kaum noch
zu stemmen.
"Ich fürchte, dass ich meine Praxis schließen muss",
sagt Armelle Badey-Plahr. In ihrem Betrieb am Standort Lukaskrankenhaus
arbeiten acht angestellte Hebammen. "Geburtshilfe machen wir schon lange
nicht mehr", sagt Badey-Plahr, die auf 45 Jahre Berufserfahrung
zurückblicken kann. Dieses Berufsfeld haben sie den angestellten
Hebammen im Krankenhaus überlassen, die Geburten im Schichtdienst
betreuen. "Wir betreuen die Schwangeren vor und nach der
Schwangerschaft, außerdem bieten wir Kurse an", sagt Plahr. Mehr sei
nicht möglich.
Hebamme Annette Reimers hat bis vor kurzem am
Johanna-Etienne-Krankenhaus als "Beleghebamme" gearbeitet. Das bedeutet,
sie betreute die Frauen individuell ab der zwölften
Schwangerschaftswoche, war bei den Geburten dabei und übernahm die
Nachsorge. "Der Vorteil ist, dass ich die Frauen die ganze Zeit
begleite", sagt Reimers. Im Schichtdienst klappe das nicht. Dauert eine
Geburt länger – was nicht selten ist – wechselt auch die Hebamme. "Die
Geburten werden damit zur Fließbandarbeit", kritisiert Reimers.
Kliniken, die als "Bettenburgen" arbeiten, könnten
zwar wirtschaftlicher arbeiten, "doch die Geburten werden dann nur noch
abgewickelt", meint Reimers, die durchaus kein Verfechter von
Hausgeburten ist. Es sei durchaus sinnvoll, für eine Geburt ins
Krankenhaus zu gehen. "Dort können die Frauen ganz natürlich gebären,
sind aber im Notfall sofort gut versorgt", sagt die 38-Jährige. Daher
bevorzugt sie das Modell der Beleghebamme. Doch die steigenden Kosten in
der Selbstständigkeit haben sie dazu bewogen, zunächst einmal mit ihren
eigenen Kindern zu Hause zu bleiben. Denn in Teilzeit lohne sich ihr
Beruf erst recht nicht. Wenn ihre Kinder älter sind, will sie wieder in
den Beruf einsteigen. Ihre Konsequenz: Die Preise für die Eltern müssen
steigen, "anders rechnet es sich nicht".
Hebammenkollegin Armelle Badey-Plahr bezweifelt
allerdings die Zahlungsbereitschaft der Mütter und Väter. "Das sehe ich
an unseren Kursen: Sobald zugezahlt werden soll, sinkt das Interesse
rapide." Badey-Plahr hat nun einen Brief an Gesundheitsminister Hermann
Gröhe (CDU) aufgesetzt. "In diesem Fall kann nur noch die Politik
helfen", sagt die Hebamme.