Mittwoch, 5. März 2014

Neuss 1 Was bei Küchenchefs auf die Teller kommt

Vor allem Innereien, die in Süddeutschland beliebt sind, kommen in Neuss gar nicht an und schaffen es in hiesigen Restaurants nicht auf die Speisekarte. Einigen Gastronomen gilt Neuss sogar als "kulinarische Diaspora". Von Susanne Zolke
 
"Wat de Buer nit kennt, dat frett he nich" – das gilt auch dann, wenn "dat" eine echte Delikatesse ist. Manche Speisen schaffen es einfach nicht auf die Restaurantkarte, egal wie schmackhaft oder gesund sie sind. Das Auge, aber auch der Verstand, essen stets mit und verhindern oft, dass wir uns auf Gerichte einlassen, die wir nicht mit unseren ästhetischen Vorstellungen oder dem Verstand in Einklang bringen können.
"Ich komme aus dem süddeutschen Raum, da stehen Innereien wie Milz, Herz, Hirn oder Lunge ganz selbstverständlich auf der Speisekarte. Sie gelten als Delikatesse", sagt Marion Tiefenbacher-Kalus, Inhaberin des Restaurants Weingut. Als besondere Gaumenfreude gilt zum Beispiel Kalbsbries, ein Organ, das bei Jungtieren im vorderen Brustbereich sitzt und sich mit der Zeit zurückbildet. "Solche Speisen gehen hier gar nicht. Das würde ich auch nicht auf meine Karte setzen."
Die hiesige Abneigung gegen Innereien liegt zum einen daran, dass nicht nur zartbesaitete Gemüter die Vorstellung von Magen, Kutteln oder Euter auf dem eigenen Teller schlichtweg unappetitlich finden. Das Image ist einfach schlecht: Schon früher galt Muskelfleisch als wertvoller und nahrhafter als ein Organ, weshalb diese oft an Suppenküchen für Arme verschenkt wurden. Auch alte Gemüsesorten wie Stielmus, Steckrüben oder Schwarzwurzeln haben den Ruch des "Arme-Leute-Essens" an sich und schaffen es selten auf die Karte. "Schwarzwurzeln werden im Volksmund auch 'Spargel des armen Mannes' genannt", sagt Dorint-Manager Jörg Schulte. "Dabei sind diese Sorten äußerst schmackhaft. Wir bringen sie immer wieder auf die Speisekarte. Ein Stück weit wollen wir damit auch Bewusstsein schaffen für die alten Dinge."
Internationale Besucher interessierten sich sehr für regionale Spezialitäten. "Gerichte wie rheinisches Panhas oder 'Himmel und Äd' gibt es bei uns zum Beispiel auf Brauchtumsveranstaltungen", sagt Schulte. Gerade Gäste aus Asien seien offen für diese Speisen. "Wenn man erklärt, worum es sich handelt, wird das sehr gut angenommen", erzählt Schulte, der selbst gelernter Koch ist. Schwierigkeiten sieht er bei klassischen Innereien. "Früher gab es öfter saure Nierchen oder Leber Berliner Art, das gibt es inzwischen nicht mehr. Es wird einfach auch viel in den Medien skandalisiert."

Eine ganz andere Erklärung, warum manche Gerichte hier nicht auf den Tisch kommen, hat Ralf Bos, Inhaber des Delikatessenhandels Bos Food. "Der Bereich Neuss-Mönchengladbach gilt bei einigen als kulinarische Diaspora", sagt Bos. "Austern oder Kalbsbries können wir hier, von Ausnahmen abgesehen, nicht verkaufen. Die Leute sind ziemlich preisorientiert, was das Essen angeht." Moralische Bedenken gegen Delikatessen wie Gänsestopfleber kann Bos zudem nicht nachvollziehen. "Tierquälerei findet nicht in den Ställen statt, in denen Gänsestopfleber produziert wird, sondern in der ganz normalen Massentierhaltung."
Ähnlich sieht das der Inhaber des "Herzog von Burgund", Erich Tiefenbacher. "Bei uns steht die Gänsestopfleber auf der Speisekarte, auch wenn dieses Gericht in TV-Beiträgen oft skandalisiert wird. Wir stehen aber dazu und es wird von unseren Gästen auch gern angenommen." Kulinarische Grenzen gibt es allerdings auch für Tiefenbacher. "Wissenschaftler reden ja seit Jahren davon, dass Insekten die Nahrung der Zukunft sind." Obwohl diese durchaus gesund und proteinreich seien, winkt Tiefenbacher lachend ab: "Käfer oder Grashüpfer wird es vorerst nicht auf unserer Speisekarte geben."
Quelle: NGZ

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