Montag, 24. Februar 2014

Neuss Heimatlieder zeigen die Seele eines Volkes

Kinder, Enkel und Urenkel von Gastarbeitern in Deutschland hatten ins Rheinische Landestheater eingeladen, um die kulturelle Vielfalt auch bei den musikalischen Stilrichtungen vorzuführen. Das Publikum war begeistert. Von Martin Horn
 
"Ohne Heimat sein heißt leiden." Dieses Zitat von Fjodor Michailowitsch Dostojewski kann nur der nachempfinden, der sein Leben nicht sorgenfrei und unbeschwert an von ihm frei gewählten Orten verbringen konnte. Und der sich gezwungen sah, sein Geburtsland hinter sich zu lassen.
Es begann in der Mitte der 1950er Jahre im damals noch nicht geteilten Deutschland mit dem sogenannten Anwerbeabkommen. Fleißige Hände waren nach dem Zweiten Weltkrieg rar. Die erste Generation Gastarbeiter – so bezeichnete man sie – wurde daher geholt, um hier zu arbeiten. Die Kinder, Enkel und Urenkel waren es nun, die zu einem Heimatliederabend ins ausverkaufte Rheinische Landestheater (RLT) eingeladen hatten, organisiert von Jochen Kühling.
Der Musikmanager ist gut vernetzt und hatte mit seiner Idee, traditionelle Musik aufzuspüren, zu bewahren und einem breiten Publikum vorzustellen schon in Berlin und Göttingen Riesenerfolge. Sein Geheimrezept: kulturelle Vielfalt. Das fünfköpfige "Turkish Chamber Orchestra" macht den Anfang, facettenreich von klassischen orientalischen Klängen bis hin zu überraschenden Jazzeinflüssen. Der Leiter, Betin Günes, sitzt dabei – eher ungewohnt – am Flügel.
A cappella von enormer Kraft und Ausdrucksstärke gibt es gleich zweimal: Die Serbinnen Sandra Stupar und Dusica Gacic sowie Klapa-Berlin, ein polyphones Herrenquintett aus Dalmatien, erzeugen Gänsehaut. Und wenn die Politik im ehemaligen Jugoslawien seit mehr als 20 Jahren daran scheitert, ein Nebeneinander zu ermöglichen – die Musik löst dieses Problem mühelos.
Trio Fado, gesungene Melancholie aus Portugal, begeisterte mit dem Kunstgriff, den eigentlich sehnsuchtsvollen Charakter dieser Musik auszublenden. Die fast in Vergessenheit geratene Kunst des Obertongesangs war dabei ein absoluter Höhepunkt.

"The MahuGang" bringt Marrabenta-Musik aus Mosambik mit, heftige rhythmische Klänge, eine Einladung zum Tanz. Und die Thea-terbestuhlung erscheint plötzlich hinderlich. Ganz anders der "Quan-Ho Chor" aus Vietnam: traditionelle Weisen, etwas sperrig für das europäische Ohr. Doch wenn die beiden Sänger ihre Angebeteten liebevoll unter den aufgespannten Regenschirm nehmen, versteht jeder, worum es geht. Dennoch würde es dem Abend noch besser stehen, könnte Moderator Kühling zu den Vorträgen die ein oder andere inhaltliche Anmerkung geben.
"La Caravane du Maghreb" aus Andalusien beweisen, wie leicht der Sprung von Europa nach Afrika gelingt. Marokkanische Gnawa-Musik mit spanischen Einflüssen, eine beinahe ausgestorbene Art des Geschichtenerzählens. Den ausgelassenen Abschluss bilden Rafael Martinez, Ricardo Moreno und Pedro Abreu aus Kuba. Son, ein Stil aus den 1920er Jahren, hat bis heute seinen Reiz nicht verloren.
Und wenn es zur gemeinsamen Zugabe aller Musiker keinen im Auditorium auf seinem Platz hält, dann ist die mehr als nur integrierende Mission "Heimatlieder aus Deutschland" eindrucksvoll erfüllt. Wie sagte Kurt Tucholsky schon: "Freundschaft – das ist wie Heimat."
Quelle: NGZ

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