Montag, 13. Januar 2014

Neuss Leben im Übergang zwischen Kunst und Wirklichkeit

In Frank de Buhrs Inszenierung von "Gott ist ein DJ" erfinden sich zwei Menschen neu. Von Helga Bittner
Das Schlussbild ist wohl der ehrlichste Moment in ihrem Leben. Da sitzen Sie und Er nebeneinander auf der Bank, sagen kein Wort mehr, knabbern Popcorn, trinken Cola, schauen sich nicht an, jeder blickt starr durch seine Papp-3D-Brille nach vorn. Nun schauen sie auf uns wie wir gerade noch auf sie. Das applaudierende Publikum ist nun Performer, gerade waren sie es.
Was echt und was gespielt, was erhofft und was befürchtet, bleibt bis zum Schluss offen – in der Inszenierung des Stück "Gott ist ein DJ" von Frank de Buhr am RLT ebenso wie in der Fassung des Autors Falk Richter. Aber letztgenannter billigt seinen beiden Figuren wenigstens ein bisschen Nähe zu: "Er küsst Sie. Blackout." De Buhr dreht an dieser Stelle noch ein bisschen weiter, denn sind wir nicht alle ein bisschen Selbstdarsteller?
Ein konsequenter Zugriff auf des Stück, denn de Buhr zeigt mit den beiden namenlosen Hauptdarstellern des Stücks einen Mann und eine Frau, die in die Rolle von Hauptdarstellern schlüpfen. Das macht er gleich zu Beginn deutlich, indem er die beiden getrennt voneinander sich vor Publikum am Schminktisch herrichten lässt. Er und Sie sind Teil eines Kunstprojekts in einem weißen Ausstellungsraum, gekleidet in lockere, aber stylische Hausklamotten (Bühne und Ausstattung: Svenja Göttler), die vor und für Publikum ihr Leben spielen. Sie reden, essen, streiten, ganz normal eben, aber wie sie das machen, lässt keine Sekunde zweifeln: Da ist nichts echt, sondern viel Wunschdenken, verklärte oder zurechtgedachte Erinnerung, herbeigeordertes Gefühl. Oder doch nicht?
Dass diese Unsicherheit immer wieder aufblitzt, ist vor allem das Verdienst der beiden Schauspieler Sigrid Dispert und Jonathan Schimmer. Die beiden tragen jede Minute der rund eineinhalb durchgespielten Stunden (die Uhr läuft mit). Sie wissen genau, wie sie mit Text umzugehen haben, der mal einen lakonisch-humorigen Ton hat, mal einen bitteren, mal einen verzweifelten, mal einen hoffnungsvollen – nur weiß der Zuschauer nie genau, ob der Ton auch wirklich Ausdruck ihres Denkens und Fühlens ist.
Dispert und Schimmer balancieren mit sicherem Gespür zwischen selbstgeschaffener und authentischer Persönlichkeit. Wie Hamster im Rad bewegen sie sich unentwegt im Rahmen ihres Selbstbildes vom eigenen Dasein und lassen doch durchscheinen, dass da irgendwo noch etwas anderes ist oder war, nämlich echtes Leben. Aber das irritiert ja auch, also lieber weg damit und eine Wirklichkeit (analog zu ihrer Vergangenheit als Videojockey und Diskjockey) zusammensamplen. Am Ende aber ist – ausgespielt. Jeder bleibt allein zurück, das virtuelle Ich ist halt nur eine Hülle.
Die Nuancen, das Timing, die sinnvollen Striche im Text – de Buhr liefert einen kompakten Abend, bei dem auch der Einsatz von Handkamera und Video schlüssig und unaufdringlich das Leben im Schein pervertiert. Und die daraus folgende wirkliche Einsamkeit.
Quelle: NGZ

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