Samstag, 8. März 2014

Neuss Journalistin dreht Film über Jobcenter-Mord

Der Jobcenter-Mord hat das Leben der Kollegen von Irina N. verändert. In einer WDR-Dokumentation sprechen sie offen über ihre Ängste. Von Christoph Kleinau
 
Raum 4.1.15 im ehemaligen Jobcenter an der Stresemannallee – ein Tatort. Im September 2012 wurde dort die Sachbearbeiterin Irene N. (32) von dem arbeitslosen Ahmed S. (53) erstochen. Danach hat kaum jemand mehr den Raum betreten, doch Blumen vor der Tür hielten die Erinnerung an die Bluttat immer wach. "Die Möglichkeit, dass jemand mit einem Messer bewaffnet auf einen von uns losgehen könnte, die ist früher in unseren Köpfen nicht vorgekommen", sagt Egon P., Sachbearbeiter im Team "Visionen 50 plus" und Kollege der Ermordeten. Er ist froh, dass er mit dem Umzug nach dem Neubau des Jobcenter am Hauptbahnhof die "örtliche Erinnerung" zurücklassen konnte. Doch los lassen ihn und seine Kollegen diese Erinnerungen wohl nie. "Das wird uns ein Leben lang begleiten", bestätigt eine Kollegin, die damals Ersthelferin war.
Die Situation, als der Notarzt der versammelten Belegschaft nur Stunden nach der Tat sagen musste "Wir konnten ihr nicht mehr helfen", steht Egon P. noch vor Augen, den Satz hat er noch im Ohr. Nun spricht er zum ersten Mal öffentlich über die Angst und das Entsetzen, das jener Angriff auslöste. Zum Sprechen brachte ihn Christina Zühlke (34), eine Fernseh-Journalistin. Monatelang hat sie Egon P. und andere Kollegen für ihre Dokumentation begleitet, die nun in der Reihe "Menschen hautnah" am Donnerstag, 13. März, ab 22.30 Uhr im WDR gezeigt wird. Ein Beitrag, der auch der Journalistin "hautnah" ging: "Nachdem der Film fertig war, sind die Cutterin, Kirsten Becker, und ich in den Dom gegangen und haben eine Kerze angezündet"", sagt sie. Ausdruck einer Verbundenheit mit einem Menschen, dem sie durch die Interviews nahe kam, ohne Irene N. je kennengelernt zu haben.
Neusser Jobcenter-Mord: eine Chronik
"Menschen hautnah" sucht die Geschichte hinter der Meldung, die in der Tagesschau gesendet wurde und mit der auch Zühlkes Dokumentation "Überfall am Arbeitsplatz – Leben mit der Angst danach" beginnt. Sie soll die Menschen zu Wort kommen lassen, die von dieser Tat betroffen waren. Letztlich aber sei es Reporterglück gewesen, sagt Zühlke, dass das Kamerateam so unmittelbar in Kontakt zu den engsten Mitarbeitern von Irene N. kommen konnte.

Drei Monate lang musste sie Überzeugungsarbeit leisten, ihr Vorhaben dem Personalrat vorstellen, vergleichbare Filme ins Intranet des Jobcenters stellen – dann meldete sich Egon P., der weitere Kollegen bewegen konnte, offen vor der Kamera über das zu sprechen, was der Täter auch ihnen angetan hat. "Die Tat hat mich richtig verletzt", sagt Ortrun J., die nicht so schnell wie Egon P. zurück in einen "normalen" Alltag fand und sich Hilfe beim Zentrum für Gewaltopfer holte. "Ich habe nie gedacht, dass ich jemals einen Mord an einem Menschen erlebe, den ich kenne", sagt sie.
Zwölf Drehtage hat sich Zühlke Zeit genommen, um der Frage nachzugehen, wie die Jobcenter-Mitarbeiter den Mord verkraften und trotzdem weiter für ihre Kunden da sein können. Sie hat sie bei Selbstverteidigungs-Kursen begleitet, zum Grab der Ermordeten oder bei der Arbeit. Und sie habe selbst gestaunt, so Zühlke, "wie wenig abweisende Bürokratie zu spüren war. Wie menschlich und respektvoll die Mitarbeiter mit den Kunden umgehen." Trotz alledem.
Quelle: NGZ

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