Samstag, 22. Februar 2014

Neuss 1 Freie Hebammen geben Geburtshilfe auf

Selbstständig in der Geburtshilfe zu arbeiten, ist für Neusser Hebammen nicht mehr attraktiv. Schon lange steigen die Versicherungsbeiträge, das drückt den Verdienst. Eine Alternative ist der Schichtdienst im Krankenhaus. Von Hanna Koch
 
Annette Reimers hat die Reißleine gezogen: Die 38-jährige Hebamme hat sich von der Geburtshilfe verabschiedet. Schon länger stehen für sie Einsatz und Verdienst in keinem akzeptablen Verhältnis mehr zueinander. "Hebamme zu sein ist mein Traumberuf", sagt die Neusserin. "Aber er lohnt sich nicht mehr".
So geht es auch vielen Kolleginnen. Rund 20 Hebammen sind dem Kreisgesundheitsamt zufolge in Neuss zugelassen, kreisweit sind es etwa 70. Doch wer sich durchtelefoniert, hat oft nur den Anrufbeantworter dran – mit dem Hinweis, dass keine Schwangeren mehr aufgenommen werden, und wenn doch, dann nur für die Vor- und Nachsorge, aber nicht für die eigentliche Geburt. Hauptgrund dafür sind die hohen Beiträge für die Haftpflichtversicherung (siehe Info-Box). Sie sind um ein Vielfaches höher, wenn direkt bei der Geburt geholfen wird. Für die Vor- und Nachsorge gibt es Extra-Tarife. Aber auch diese sind kaum noch zu stemmen.
"Ich fürchte, dass ich meine Praxis schließen muss", sagt Armelle Badey-Plahr. In ihrem Betrieb am Standort Lukaskrankenhaus arbeiten acht angestellte Hebammen. "Geburtshilfe machen wir schon lange nicht mehr", sagt Badey-Plahr, die auf 45 Jahre Berufserfahrung zurückblicken kann. Dieses Berufsfeld haben sie den angestellten Hebammen im Krankenhaus überlassen, die Geburten im Schichtdienst betreuen. "Wir betreuen die Schwangeren vor und nach der Schwangerschaft, außerdem bieten wir Kurse an", sagt Plahr. Mehr sei nicht möglich.
Hebamme Annette Reimers hat bis vor kurzem am Johanna-Etienne-Krankenhaus als "Beleghebamme" gearbeitet. Das bedeutet, sie betreute die Frauen individuell ab der zwölften Schwangerschaftswoche, war bei den Geburten dabei und übernahm die Nachsorge. "Der Vorteil ist, dass ich die Frauen die ganze Zeit begleite", sagt Reimers. Im Schichtdienst klappe das nicht. Dauert eine Geburt länger – was nicht selten ist – wechselt auch die Hebamme. "Die Geburten werden damit zur Fließbandarbeit", kritisiert Reimers.

Kliniken, die als "Bettenburgen" arbeiten, könnten zwar wirtschaftlicher arbeiten, "doch die Geburten werden dann nur noch abgewickelt", meint Reimers, die durchaus kein Verfechter von Hausgeburten ist. Es sei durchaus sinnvoll, für eine Geburt ins Krankenhaus zu gehen. "Dort können die Frauen ganz natürlich gebären, sind aber im Notfall sofort gut versorgt", sagt die 38-Jährige. Daher bevorzugt sie das Modell der Beleghebamme. Doch die steigenden Kosten in der Selbstständigkeit haben sie dazu bewogen, zunächst einmal mit ihren eigenen Kindern zu Hause zu bleiben. Denn in Teilzeit lohne sich ihr Beruf erst recht nicht. Wenn ihre Kinder älter sind, will sie wieder in den Beruf einsteigen. Ihre Konsequenz: Die Preise für die Eltern müssen steigen, "anders rechnet es sich nicht".
Hebammenkollegin Armelle Badey-Plahr bezweifelt allerdings die Zahlungsbereitschaft der Mütter und Väter. "Das sehe ich an unseren Kursen: Sobald zugezahlt werden soll, sinkt das Interesse rapide." Badey-Plahr hat nun einen Brief an Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) aufgesetzt. "In diesem Fall kann nur noch die Politik helfen", sagt die Hebamme.
Quelle: NGZ

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