Mittwoch, 21. Mai 2014

Neuss 0 Kreatives Theaterstück zur "Idee Europa"

Die Schauspielerin und Regisseurin Jale Maria Gönenc hat mit dem Jugendensemble der Alten Post, der Kleinen Compagnie", ein Theaterprojekt zu Europa entwickelt, Der erste Teil hatte jetzt Premiere. Von Dagmar Kann-Coomann
Festlich gedeckt sind die Tische, überbordend ist die Blütenpracht, frugal sind dagegen die Speisen: Nur eine Hand voll Früchte sind zu sehen, und es scheint, als könne man am permanenten Festmahl Europas durchaus verhungern. Janusköpfig ist dieser Kontinent, so reich, so arm, zwischen Aufklärung und Stagnation, Demokratie und Dirigismus. Also was genau ist Europa? Wer ist Europäer, und was ist der Kern eines Kontinents, der einen Friedensnobelpreis erhält und gleichzeitig bei seinen Menschen so viel Zwiespalt und Ablehnung hervorruft?
Fragen und Anregungen, Kritisches und Originelles zum Thema Europa präsentiert das ambitionierte "Europäische Theaterprojekt", dessen ersten Teil Regisseurin Jale Maria Gönenc mit ihrer "Kleinen Compagnie", dem Jugendtheaterensemble der Alten Post, unter einem Titel präsentiert, der bewusst ebenso wenig geschmeidig ist wie der ganze Kontinent und sein seltsames Gründungsnarrativ: "Die Frau mit der weiten Sicht, die auf dem Rücken des Stiers übers Meer kam". Auf fünf Jahre hat Gönenc dieses Theaterprojekt angelegt, sucht Kooperationen, Annäherungen, lebendige Auseinandersetzung und arbeitet mit ihren engagierten Schülern am Mythos, an der Idee, am Traum Europas.
Gefühle stehen im Mittelpunkt dieses ersten Teils, der am kommenden Wochenende zum letzten Mal in der Alten Post gezeigt wird: Neid, Angst, Ohnmacht, Rache als dominante Elemente eines Kontinents, in dem die Grenzen wieder wachsen.
Einprägsame Bilder findet das kreative Team für diese Gefühle. Es zeigt die Angst auf Zehenspitzen, den Neid voller Selbstverliebtheit, die Rache üppig und luxuriös. Zwischen Gründungsmythos und Gegenwart, der von Zeus verführten Königstochter Europa und Freihandelsabkommen, Genmanipulation und Gurkennorm zeigen Jakob Famulok, Dennis Isenberg, Guido Kim, Laura Loetzner, Sophia Müller, Sophie Nicolaus und Alina Tauwel Facetten des Themas. Sie zitieren Goethe ebenso wie "Heute Show"-Choleriker "Gernot Hassknecht", thematisieren die neue Bankkontonummer Iban als "zwei Kilometer langes Sudoku" und den Anruf Merkels, der eine Abgasnorm veränderte, um die 7365 Abgeordnete jahrelang gerungen haben.
Stets als Doppelwesen zeigt Gönenc die mythische Königstochter Europa. Ein dünner Strich teilt die Gesichter als Darsteller in zwei Hälften und macht so deren Ambivalenz augenfällig. Marie Heitzinger gestaltet die Bühne als Festtafel von barocker Pracht und Üppigkeit, schafft nebenbei mit der Anordnung der Tische einen offenen Raum, geprägt von jenen rechten Winkeln, die für die Buchstaben E und U signifikant sind.
Ist Europa kein Ort, sondern eine Idee, und zwar eine, die längst begonnen hat? Was kann Ohnmacht und Angst der Menschen schwächen und gibt es Chancen, ein besseres Europa zu schaffen? Braucht es mehr Freiheit oder mehr Regeln? Jale Maria Gönenc ist mit Haut und Haar im neuen Jahrtausend, wenn sie die Bühne nutzt als Ort kreativer Bestandsaufnahme ohne Tabus und authentischen Ringens um Fragen, die uns allen unausgesprochen im Kopf stecken.
Quelle: NGZ

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