Montag, 28. April 2014

Neuss Im Kern des Menschen herrscht Leere

Ewald Palmetshofers Stück "faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete" ist eine sprachliche und inszenatorische Herausforderung. Bettina Jahnke und ihr Ensemble am RLT meistern sie mit nachhaltigem Eindruck. Von Helga Bittner
 
Einmal mehr zeigt sich die Qualität dieses Ensembles. Johann Schiefer, Linda Riebau, Georg Strohbach, Ulrike Knobloch, Pablo Guaneme Pinilla und Shari Asha Crosson geben sich, wie sie - in der entsprechenden Situation - auch in der Realität rüberkommen könnten. Dabei verkörpern sie Figuren in einem Theaterspiel. Obwohl die drei Männer und die drei Frauen streng genommen gar nicht spielen. Sondern nur dastehen, gelegentlich die Positionen tauschen, reden. Mal mit, mal ohne Mikro. Und trotzdem: Sie nehmen uns mit in ihre Geschichte, werden zu Paul und Ines, zu Fritz und Anne, zu Robert und Tanja, die sich über Heinrich und Grete auslassen. Das vierte Paar in diesem Stück, das vom österreichischen Autor Ewald Palmetshofer physisch gar nicht erst angelegt, aber dennoch ständig anwesend ist.
Daran hält sich auch Bettina Jahnke, die das Stück "faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete" am RLT inszeniert hat. Palmetshofer lässt die zwei Ur-Figuren des deutschen Theaters, eben Heinrich Faust und Grete aus Goethes "Faust", in seinem Stück zwar namenlos, aber auch sie sind Glückssucher. Sie gehen nur andere Wege, auf solche, die in sie hineinführen.
"könnt faktisch einfach sein, dass in dir drinnen einfach sich ein Glück, das kann sich, hast du dir gedacht, vielleicht nicht halten, so ein Glück in dir, weil in dir drinnen alles viel zu glatt, weil du mit Fliesen Kacheln innen ausgekleidet": Palmetshofers Stück ist eine recht deprimierende Studie über diese Suche. denn was der Mensch findet, ist Leere, ein Nichts. Als Heinrich Grete auf einer Party kennengelernt, gibt es noch das vage Versprechen, dass da etwas Neues entstehen könnte. Er schwängert sie - und haut dann ab. Nach Afrika, in ein anderes Krisengebiet, das ihm nicht die Nähe und den Mut abverlangen, wie es in der Beziehung mit Grete nötig wäre. Und Grete? Sie vergräbt sich fast wörtlich im Wald, bringt dort ein Kind zur Welt, verscharrt es, stirbt schließlich in einem Krankenhaus.
Ein tragische Geschichte, die sich die drei Paare, die alle in einem Haus wohnen und sich immer wieder zu Grillpartys auf dem Balkon treffen, auch deswegen erzählen, weil sie Entlastung für sich suchen. Hätten sie was ändern können, merken müssen? Paul und Ines, Fritz und Anne, Robert und Tanja schlüpfen dabei immer wieder in die Rollen von Heinrich und Grete, aber sind sie wirklich schockiert? Wohl kaum. Sie alle werden wieder in ihr oberflächliches Leben zurückrutschen. Es ist ja ihr Gerüst.

Die Kunstsprache des Autors mit Monologen aus Halbsätzen, Ein-Wort-Gedanken - so witzig sie auch ist - ist eine echte Herausforderung für jeden Regisseur und seine Schauspieler. Jahnke meistert sie, indem sie das Stück wie eine (Sprach-)Symphonie angeht. Mit rhythmischer Gestaltung, in deren Dienst sie ihre Schauspieler stellt, ohne Ausweichmöglichkeiten. Schiefer, Riebau, Strohbach, Pinella und Crosson machen allein mit Mimik, Stimme und minimaler Gestik die Figuren lebendig. Nachhaltig beeindruckend und prägnant.
Nichts um sie herum deutet an, wo sie sich befinden. Der Purismus der Regie setzt sich im Bühnenbild von Ausstatter Martin Dolnik fort. Einzig eine überlebensgroße Figur stellt er in die Mitte. Eine Frau, deren Körper auf der einen Seite nackte Haut zeigt, auf der anderen das, was drunter liegt. Blickfang und Symbol zugleich; das Leben ist ein Wunschbild, übrig bleibt das Nichts. Für ein bisschen Hoffnung mag das Baby in der offenen Bauchhöhle stehen, das im Begriff ist, raus, auf den Zuschauer zuzukrabbeln. Steht dem Neugeborenen nicht noch alles offen?
Ein hockkonzentrierter Theaterabend, der dem Zuschauer einiges abverlangt. Aber es lohnt sich.
Quelle: NGZ

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