Mag Friedrich Schillers Fassung von "Kabale und Liebe" auch andere Akzente setzen – die Bearbeitung von Regisseur Steffen Popp am RLT ist ein Musterbeispiel dafür, wie gut ein Klassiker funktioniert, wenn er mit moderner Technik verknüpft wird. Dabei sieht es anfangs gar nicht danach aus. Leitern stehen für die Behausungen der Millers, des Präsidenten von Walter, der Mätresse Lady Milford (natürlich quergelegt); auf einer Leinwand flackert der Stück-Titel; das Getöse von E-Gitarren lähmt die Ohren; ein Klangteppich von (Stör-)Geräuschen macht das Zuhören schwer. Zweieinhalb Stunden später ahnen wir: Uns, dem Publikum, geht es in diesem Moment nicht anders als den Stückfiguren: Man hört und sieht – aber eben selektiv.
Doch das unkonventionelle Bühnenbild von Amelie Hensel, die technische Aufrüstung mit E-Gitarre und Handkamera machen mehr und mehr Sinn: etwa in einem Moment, wo Sprache nichts mehr hergibt. Wo nur noch Krach die Wut oder die Enttäuschung ausdrücken kann. Wo Großaufnahmen von Wurms Mund die ganze Ungeheuerlichkeit seiner Intrige offenbaren, die Ferdinand von Luise abbringen wird: Luises Vater wird ins Gefängnis gesteckt und kommt nur raus, weil Luise auf Geheiß einen Brief an einen vermeintlichen Liebhaber schreibt. Wie groß ist die Macht der Sprache, wenn sie geschrieben steht. Und wie flüchtig, wenn sie gesprochen wird. So erkennt Ferdinand seine Luise nicht wirklich, weil er ihre Worte zwar hört, aber deren Code nicht entschlüsselt. Dafür ist er zu verstrickt in seinen eigenen. Georg Strohbach und Shari Asha Crosson verbinden in ihrem Spiel wunderbar das Zart-altertümliche der Schiller-Figuren mit den coolen Attitüden junger Zeitgenossen. Da ist es auch konsequent, dass Crossons Luise aufwacht und gegen das Fremdbestimmtsein rebelliert.
Popps "Kabale und Liebe" beweist, dass ein Klassiker modern ist, wenn ein Regisseur seine Mittel nicht um ihrer selbst willen einsetzt, sondern für den (fast gänzlich gewahrten) Inhalt eine sprechende (!) Form findet und einen Kern herausschält. Und wenn das dann noch so punktgenau gespielt wird wie von Joachim Berger, Hergard Engert (die Millers), Andreas Spaniol (Ferdinands Vater), Claudia Felix (Lady Milford) Pablo Guaneme Pinilla (Wurm) und Gabriel Rodriguez (Hofmarschall), ergibt das einen nachdrücklichen Theaterabend.
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