Andreas Englisch Er gehörte zu meinen Favoriten, denn bereits bei der Papstwahl im Jahr 2005 bekam er mehr als 30 Stimmen. Dann bat er darum, nicht weiter gewählt zu werden, weil wichtige Kardinäle seine Rolle während der argentinischen Militärdiktatur nicht eindeutig geklärt sahen. Wie ich in meinem Buch "Franziskus – Zeichen der Hoffnung" zeige, stellt Jorge Mario Bergoglio den reinen Albtraum der Kurie dar, weil es keinen anderen Erzbischof gab wie ihn, der von ihr so oft so drastisch gemaßregelt worden war. Doch plötzlich war der am stärksten gegängelte Erzbischof der neue Chef im Vatikan.
Sie haben den Rückzug von Papst Benedikt XVI. bereits ein Jahr vorher vermutet?
Englisch Ich habe oft mit Kardinal Joseph Ratzinger darüber gesprochen, wie er über den Rücktritt eines Papstes denkt. Seiner Ansicht nach müsse ein Papst handlungsfähig bleiben. Das Beispiel des Leidensmanns Karol Wojtyla, der zum Schluss im Amt weder sprechen noch gehen konnte, sollte seiner Ansicht nach nicht Schule machen. Als Benedikt dann in L'Aquila am Grab von Papst Coelestins V., des bis dahin einzigen tatsächlich freiwillig zurückgetretenen Papstes, seine Stola ablegte und am Grab beließ, war ich mir sicher, dass er eine besondere Bindung zu diesem Papst hat. Da sich klar abzeichnete, dass der Papst von der Kurie teilweise entmachtet worden war und sich nicht mehr der vollen Unterstützung sicher sein konnte, vermutete ich, dass er abdanken würde.
Und wie beurteilen Sie den Schritt?
Englisch Papst Benedikt XVI. hat einen Präzedenzfall geschaffen. Von nun an wird man Päpste zu einem Rücktritt bitten können. Er hat das Amt des Papstes zweifellos entzaubert. Die Ansicht, dass Gott einen Menschen zum Stellvertreter auf der Erde macht, der bedingungslos bis zum Schluss im Amt bleibt, gibt es so im Vatikan nicht mehr. Das Amt des Papstes ist eindeutig weltlicher geworden.
Englisch In seinem ersten apostolischen Schreiben "Evangelii Gaudium" stellte er klar, dass ihm das, was die katholische und die evangelische Kirche gemeinsam haben, sehr viel wichtiger ist, als das, was sie trennt. Insofern ist Papst Franziskus eine totale Kehrtwende, nachdem Joseph Ratzinger die evangelischen Kirchen schwer gekränkt hatte mit seiner Aussage, dass sie aus katholischer Sicht keine Kirchen seien, sondern bestenfalls Glaubensgemeinschaften.
Deshalb bietet sich auch Nicht-Katholiken ein Besuch Ihres Vortrags an?
Englisch Ich lebe die Ökumene jeden Tag, denn meine Ehefrau ist selbst evangelisch. Darum freue ich mich auf alle Begegnungen in Kaarst.
STEFAN REINELT FÜHRTE DAS GESPRÄCH.
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