Samstag, 8. Februar 2014

Neuss Neusser Lokomotiven in ganz Europa unterwegs

Den Bahnhof Hessentor, die Schnittstelle zwischen dem Hafen und der weiten Welt, passieren jährliche 7500 Züge. Ruhig ist es dort fast nie. Von Christoph Kleinau
 
Im Bahnhof Neuss-Hessentor fängt die Woche am Sonntagabend an. Noch vor der Tagesschau lassen Fahrdienstleiter Ulrich Waschul und seine Kollegen die Dieselmaschinen ihrer Lokomotiven an, die kaum noch richtig auskühlen. Hier, an der Heerdterbuschstraße, misst man das Wochenende nur in Stunden, werden bis Samstagabend Züge abgefertigt. "In drei bis vier Jahren wird auch der ganze Sonntag Arbeitstag sein müssen", ist Bereichsleiter Frank Türger überzeugt. "Weil wir die Warenströme gar nicht mehr anders gestemmt bekommen." Der Bahnhof an der Schnittstelle der Hafenbahn zum Streckennetz der Deutsche Bahn AG hat deren Güterbahnhof in Neuss längst den Rang abgelaufen.
Türger personifiziert die jüngere Unternehmens-Geschichte der Neusser Eisenbahn wie kein zweiter. Als er 1993 vom "großen Bruder" Bundesbahn kam, rangierten deren Lokomotiven noch im Namen und Auftrag der Städtischen Hafenbetriebe, war sein Chef noch ein Amtsleiter. Er erlebte als Leiter des Eisenbahnverkehrsunternehmens 2004 die Fusion der Häfen Neuss und Düsseldorf mit und blieb auf seinem Posten, als die Neusser Eisenbahn 2012 mit der Kölner Konkurrenz verschmolz und zu "Rhein-Cargo" wurde. Und jeder Wechsel brachte einen enormen Entwicklungsschub für "sein" Unternehmen. "Die Entwicklung verlief stürmischer als beim Schiffsverkehr", bilanziert Hafendirektor Rainer Schäfer – und der wies seit 2004 jedes Jahr zweistellige Zuwachsraten auf.
Die Diesel sind warm, und Thomas Schroers hat vom Stellwerk aus die Hubbrücke über den Erftkanal am Hafenbecken IV abgesenkt. Eingeweiht wissen: Jetzt wird Geld verdient. Denn viele Züge, die ab dem Tarifpunkt Neuss-Hessentor auf große Fahrt gehen, wurden mit Gütern aus dem Hafen beladen. Und alle Waggons, die unter der Düsseldorfer Straße hindurch ins 80 Kilometer lange Schienennetz der Häfen geschoben werden, erwartet dort ein Kunde – und sei es nur, um die Ware am Güterterminal auf einen Lastwagen oder ein Binnenschiff umzuladen.
Der einspurige Durchschlupf ist das eine Nadelöhr, die Hubbrücke das andere. Und weil es störanfällig sein kann, ist das Notgleis entlang der Batteriestraße bis zum Wendersplatz unersetzlich. Das wird inzwischen aber auch als Abstellgleis benutzt, denn viele der Züge sind länger, als die Betriebsgleise der Firmen, für die sie bestimmt sind. Sie werden im Übergabebahnhof zerlegt, in Waggongruppen zugestellt – und die übrigen erst einmal im Güterbahnhof der DB, im Vorbahnhof der Hafenbahn oder im Hafen geparkt. Allein das macht viele Fahrten nötig.

Wer sich den Kindheitstraum vom Lokomotivführer erfüllen will, kann das bei Rhein-Cargo tun, wo aktuell 52 Auszubildende unter Vertrag stehen. 90 Loks bewegt das Unternehmen, darunter 15 im Bereich Nord, also den Neuss-Düsseldorfer Häfen. Und wer die Ausbildung durchlaufen hat, bleibt in der Regel. "Die Fluktuation ist gleich Null", sagt Türger. Auch weil zur Berufszufriedenheit beiträgt, dass die Welt der Rhein-Cargo-Eisenbahner nicht am Übergabebahnhof endet. Längst sind sie auch auf nationalen und internationalen Strecken unterwegs.
7500 Züge werden jährlich im Bahnhof Neuss-Hessentor registriert, zuletzt 150 000 Waggons gezählt. Aneinander gereiht ergäben sie eine Länge von 2700 Kilometern, sagt Türger. Diese Massen an Waggons müssen auf der "letzten Meile", wie Fahrdienstleiter Waschul den Abschnitt vom Übergabebahnhof in den Hafen nennt, manövriert, bewegt, verschoben, ent- und beladen und zu neuen Zügen zusammengesetzt werden. Das geht rund um die Uhr und wird per Funk koordiniert. Trotzdem lernt jeder Eisenbahner noch das Zeichengeben von Hand - mit Fahne und Lampe. Denn auch bei technischen Pannen darf eines nicht passieren: Stillstand.
Quelle: NGZ

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