Samstag, 22. März 2014

Neuss Ein Plädoyer für die Palliativmedizin

Beim "Augustinus Forum" war Professor Gian Domenico Borsaio zu Gast. In seinen Büchern wirbt für eine humane Begleitung von Schwerstkranken. In Neuss erklärte er, warum Ärzte den Tod eines Patienten als Niederlage empfinden. Von Rudolf Barnholt
 
"Über das Sterben" war das Wissensbuch des Jahres 2012 in der Kategorie "Zündstoff". Der Autor, Professor Gian Domenico Borsaio, ein Pionier und Verfechter der Palliativmedizin, sprach jetzt im Rahmen der Veranstaltungsreihe Augustinus Forum vor rund 600 Zuhörern. Im Gespräch mit der Journalistin Anna von Münchhausen machte er auf Missstände aufmerksam, hob die Bedeutung der Palliativmedizin hervor, kritisierte den Umgang der Ärzte mit Todkranken und wünschte sich, dass die Palliativmedizin endlich die Anerkennung erfahre, sie die verdient habe.
Berthold Bonekamp, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung "cor unum" der Neusser Augustinerinnen, sorgte für den "Werbeblock" zu Beginn des Abends in der Mehrzweckhalle des St. Alexius-/St. Josef-Krankenhauses: Er ließ einen kurzen Film laufen über die "Insel Tobi", eine Palliativstation für Kinder im Krankenhaus Mönchengladbach-Neuwerk. Michael Schlagheck, Leiter des Augustinus-Forums, versprach sich von der Veranstaltung viel: "Wir wollen einen Beitrag leisten zur Kommunikation über das Sterben, um die Angst vor dem Sterben zu verringern."
Professor Gian Domenico Borsaio, Jahrgang 1962, der zurzeit den Lehrstuhl für Palliativmedizin an der Universität Lausanne innehat, sollte wichtige Sätze sagen wie diesen: "Das Wichtigste ist die Zeit davor, nicht der Tod." Palliativmediziner nähmen Ängste wahr und an. Der gebürtige Italiener gab zu verstehen, dass Ärzte oft ein Problem mit dem Tod haben: "Sie verdrängen ihre eigene Angst vor dem Tod." Der Begriff "Halbgötter in Weiß" sei gefährlich, "weil sie die Deutungshoheit über das Sterben bekommen haben". Der Tod eines Patienten werde von den Ärzten oft als Niederlage begriffen, sagte er.
Borsaio kritisierte den Umgang der Ärzte mit den Schwerstkranken: Sie redeten auf die Patienten ein, anstatt die Kranken zu Wort kommen zu lassen. "Was wissen Sie schon über Ihre Situation, was vermuten Sie?" – so könnte ein Gespräch, in dem eine schwerwiegende Diagnose kommuniziert werden soll, beginnen.

Was wünscht sich ein Sterbender? "Das Spektrum der Wünsche am Lebensende ist enorm", erklärte der Mediziner. Er erzählte von einem Todkranken, der auf intensive Therapien in der Klinik verzichtete, um die Zeit, die ihm noch blieb, zu Hause mit seinem Hund zu verbringen. "Es ging ihm physisch schlechter, aber er war deutlich glücklicher", sagte Borsaio.
Wie wichtig eine gute palliativmedizinische Versorgung ist, machte er an folgendem Beispiel fest: "Todkranke brauchen eine gute Mundpflege, weil trockene Schleimhäute ein quälendes Durstgefühl hervorrufen." Die bei Ärzten beliebten Infusionen könnten das Durstgefühl nicht beseitigen, sie führten aber zur Wassereinlagerungen in der Lunge, die Atemnot zur Folge hätten, weil die Nieren bei einem Sterbenden vor anderen Organen ihre Arbeit einstellten.
In Palliativmedizin zu investieren, könne sinnvoller und wirtschaftlicher sein als die soundsovielte Chemotherapie mit all ihren Nebenwirkungen, schloss der Gast aus Lausanne.
Quelle: NGZ

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